Einmal unters Volk mischen

Vor kurzem schrieb eine Freundin als Kommentar zu meinen Fotos: Gibt es dort auch Menschen? Was soll ich sagen? 8 Millionen Menschen gibt es in dieser Stadt. Und dennoch hatte ich bis dahin noch keine Menschen auf der Straße fotografiert. Das lässt sich nämlich als große, blonde Langnase gar nicht so unauffällig bewerkstelligen und ich bin doch so schüchtern und trau mich nicht, die Menschen anzusprechen. Mal abgesehen davon, dass sie mich hier auch gar nicht verstehen, aber darauf will ich hier gar nicht eingehen. Egal wo ich auftauche, gehe, stehe oder einkaufe, es finden sich immer interessierte Beobachter. Das liegt, so habe ich in einem Buch gelesen, in der Natur der Chinesen. Sie haben immer Spaß an den Ereignissen auf der Straße und ganz besonders, wenn sie nicht selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Und so fällt natürlich sofort auf, wenn ich stehen bleibe um zu fotografieren. So allmählich habe ich mich daran gewöhnt und lächele einfach freundlich. Was soll ich auch sonst machen. Auf jeden Fall habe ich mir die Aufgabe gestellt, mehr Momentaufnahmen zu machen und dazu gehören natürlich die üblichen Menschenansammlungen. Vor zwei Tagen bin ich mit Max mit der Metro zum Hauptbahnhof gefahren. Irgendwo hatte Max gelesen, dort würde er einen Plan mit Busverbindungen bekommen. Also nichts wie los und sich überraschen lassen.

Das Gebäude ist ziemlich neu und auch die Umgebung sieht aus wie aus dem Phantasialand. Und wenn man hineinschaut, wirkt auch alles wie eine Kulisse. Es gibt eine Halle, in der man die Bahntickets kaufen kann. Mehr gibt es dort nicht, keinen Laden, keine Souvenirs, keinen Busfahrplan. Dann gibt es die nächste Halle, dort müssen alle Reisenden durch eine Kontrolle, ich glaube man muss dort Ticket und Ausweis vorzeigen. Es macht eher den Eindruck eines Flughafens als eines Bahnhofes. Auch hier gibt es keine Läden, keine Imbiss oder einen Kaffeestand. Dafür aber jede Menge Menschen, die mit vielen Koffern auf den Eingang zustreben, nur ein Ziel vor Augen. Etwas entfernt stehen viele Männer und brüllen rum. So zumindest mutet es an, wenn man nicht versteht, was da gebrüllt wird. Wir glauben, dass es sich um Taxifahrer handelt, die ihre Dienste anbieten. Die Taxifahrer sehen irgendwie alle gleich aus, ich glaube sie kommen vom Land und die meisten von ihnen können nicht lesen. Das kann schon mal zu leichten Verwirrungen führen, wenn das vor einem stehende Taxi einfach wieder wegfährt, während man nach dem hilfreichenden Taxi-Guide sucht. Bevor ein Taxifahrer zugeben muss, dass er nicht weiß, wo man hin will, lässt er einen einfach stehen. Das habe ich aber auch schon mal bei chinesischen Fahrgästen beobachtet, daher nehme ich das nicht persönlich, wenn es uns passiert.

Aber zurück zu unserem Ausflug. Nachdem wir erkennen mussten, dass wir im Umfeld des Bahnhofes nichts finden konnten, was mit Busfahrplänen zutun haben könnte, haben wir einen kleinen Spaziergang gemacht. Max ist da nicht der Geduldigste und hatte nur eines im Sinn: Essen! Ihr könnt Euch vorstellen, dass das schon mal zu Spannungen führt. Aber wir üben uns im Kompromisse schließen. Ich zahl das Essen und er sorgt dafür, dass ich vor lauter Motivsuche nicht unters Auto komme. Spannend finde ich immer die Kontraste hier in der Stadt. Immer wieder denke ich, dass Shenyang trotz der Größe und vielen Hochhäuser keine echte Metropole ist. Gleich um die Ecke von unserem Hotel, wo man so fein ist, dass man die Gäste französisch begrüßt, gibt es zur Mittagszeit diverse Garküchen auf Rädern. Dort kann man Suppen oder gefüllte Teigtaschen oder Fleischspieße verschiedenster Sorten kaufen. Das Essen wird immer mitgenommen, nie direkt gegessen. Ob das an den Minusgraden liegt oder eine chinesische Sache ist, weiß ich nicht. Das werde ich erst im Sommer beobachten können. Auch was das Essen angeht, bin ich noch beim Beobachten, sehr zur Belustigung der Verkäufer und Kunden. Aber ich muss ja mal sehen, ob man die einzelnen Zutaten auswählt oder ob es an jedem Stand immer eine feste Speise gibt. Wenn ich mich endlich traue, dort was zu probieren, werde ich es Euch wissen lassen. Es juckt mich definitiv schon in den Fingern…

Faszinierend sind auch die Widersprüche im Straßenbild. Die unzähligen Hochhäuser überall, Compounds mit Toren und Pförtnern, ganz bequem neben alten Schuppen und den schlichtesten Läden. Hightech an jeder Ecke, Konsum in ganz großem Stil, neue Autos in Hülle und Fülle – und dann die Straßenreinigung mit Reisigbesen und Schubkarren, Mülltrennung vor Ort und Fahrräder oder Elektroroller als Transportmittel für ganze Hausstände.

Und dann die ständige Beschallung, überall wird gebrüllt und gerufen, geworben und manchmal vielleicht auch informiert? Ich muss immer an eine Geschichte denken, die mir meine Mutter mal erzählt hat. Danach hat mein Bruder in seiner wilden Phase mit 16 oder 17 aus seinem Zimmerfenster per Megafon aus der Mao-Bibel vorgelesen. Ob er wohl wusste, dass das in China tatsächlich so gemacht wurde? Das Megafon unten lag übrigens nicht einfach nur rum, sondern verkündete was auch immer laut und deutlich und nur für uns nicht verständlich.

Übrigens gab es wieder einmal einen Burger bei McDonalds. Max ist völlig begeistert, dass es hier immer alles recht scharf gewürzt ist und es ganze Hühnchenteile ohne Knochen gibt. Nicht sehr chinesisch, aber wir haben ja noch etwas Zeit, uns an die einheimischen Gepflogenheiten heranzutasten.

Zunächst einmal sind wir über jede Errungenschaft froh, so zum Beispiel, dass wir souverän Metro fahren können. Okay, es gibt nur zwei Linien, aber dafür ist auch alles nur mit chinesischen Schriftzeichen beschildert. Da ist schon das Kaufen des Tickets eine Herausforderung. Hier macht sich Max schon richtig gut, er kann schon so viel erkennen, dass er daraus meist die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Hut ab! Für mich sind das Bildchen, die keinen Bezug zu dem jeweiligen Wort haben.

Die Metro ist neu und pikobello sauber. Der gesamte Bahnsteig ist mit einer Wand von den Gleisen abgetrennt, so dass es niemals zu Unfällen kommen kann. Und es zeigt sich, dass die Chinesen keine Berührungsängste haben. Wenn ich denke, ich komme nicht mehr in die Bahn, dann sind die folgenden 10 Leute so nett und helfen mir beim Einsteigen. Und es stört sich keiner an der Enge und dem Gedränge, da scheint der Chinese aufzuleben. Das muss ich noch etwas üben, derzeit freue ich mich einfach darüber, dass ich so groß bin und immer noch genug Luft zum Atmen bekomme!

Das war es für heute. Jetzt muss ich mich mental darauf vorbereiten, dass ich mit Max zu einem Markt für Handys und Handyzubehör gehen muss, um ein Geburtstagsgeschenk für Stefan zu besorgen. Meist befinden sich die Produkte irgendwo hinter dem Tresen oder werden irgendwo besorgt, dafür muss man natürlich sagen, was man haben will. Und wir haben nicht einmal ein Foto von diesem besonderen Teil. Ich hoffe, Max bereitet sich gut vor, ansonsten gibt es doch nur Schokolade für Stefan!

Euch alles Liebe und bis zum nächsten Mal,
Eure Bettina

 

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