Nicht rennen – nicht schleichen

Nun wird es Zeit, Euch endlich etwas über den Straßenverkehr in Shenyang zu erzählen. Und Ihr könnt mir glauben, da gibt es jede Menge zu erzählen. Shenyang ist eine große Stadt, deren Fläche der von Berlin ähnelt, allerdings leben mehr als doppelt so viel Einwohner in der Stadt und in der Provinz Liaoning sind es sogar insgesamt 25 Mio. Einwohner. Da könnt Ihr Euch sicher vorstellen, was hier so auf den Straßen los ist. Zur morgendlichen Rush Hour kann man bei ungünstiger Wetterlage nur schwer luftholen. Der Lärm ist erheblich, wobei es weniger die Autos sind als die ständige Huperei. Und dann kann man auch nicht immer von fließendem Verkehr reden, denn hier wird immer und überall angehalten, um jemanden ein- oder aussteigen zu lassen. Dafür werden keine freien Parkplätze gesucht, oder Einfahrten, nein, nein, da bleibt man einfach auf der Hauptstraße stehen, an der Kreuzung oder in einer Kurve. Völlig normal, dafür wird nicht gehupt, da muss man ja nur drum herum fahren. Hupen muss man, wenn man besonders schnell an einem anderen Auto vorbeifahren will, dabei ist es egal ob man rechts oder links vorbei will. Hupen sollte man auch, wenn man den Eindruck hat, der Wagen weiter vorne will möglicherweise auf die eigene Spur wechseln. Hupen ist auch immer angesagt, wenn ein Fußgänger nicht schnell genug die Straße überquert. Dabei ist es faszinierend zu beobachten, wie sich Autofahrer und Fußgänger bewegen. Der Autofahrer wird es immer versuchen, noch vor dem Fußgänger vorbeizufahren. Das heißt nicht, dass er schneller wird sondern dass er seine Fahrspur verändert. Da kommt es nicht selten vor, dass er auf der Spur des Gegenverkehrs landet. Wenn jetzt aber der Fußgänger sich gar nicht beirren lässt, ist es eine Sache weniger Zentimeter, wer das Rennen gewinnt. Ist der Fußgänger schneller, wird der Autofahrer ganz entspannt wieder auf seine Spur zurückkehren. Da gibt es kein böses Blut, man könnte fast meinen, es sei ein Spiel. Aber aufgepasst, auch hier ist der Fußgänger das schwächere Glied und es könnte ja sein, dass der Autofahrer einen schlechten Tag hat.

Ich habe es noch nicht erlebt, dass einem Fußgänger aus reiner Höflichkeit der Vortritt gewährt wurde. Wer zögert, steht eben länger an der Kreuzung. Dafür bin ich ja nicht zu haben und so habe ich schon den einen oder anderen Fahrer zum Anhalten gezwungen. Hier fahren viele deutsche Autos herum und immer wieder erwische ich mich, dass ich erwarte einen westlichen Fahrer am Steuer zu entdecken. Und vom dem erwarte ich natürlich auch das entsprechende Benehmen. Tja, was soll ich sagen, es gibt ganz schön viele Chinesen, die sich Audi, Mercedes oder BMW leisten können.

Wo Lara und ich als Blondinen für Aufsehen sorgen, erregt Leo immer wieder die Gemüter, ganz im positiven Sinne. Er wird angesprochen, ihm wird über das Haar gestrichen und immer wieder begeistert angelächelt. Kinder haben einen hohen Stellenwert und ich bin versucht zu testen, ob die Autofahrer wegen eines kleinen blonden Jungens zum Bremsen zu bewegen sind? Noch konnte ich meine Neugier nicht befriedigen, da ich mich nicht getraut habe, Leo einfach mal auf die Straße zu schupsen. Okay, ich suche mir eine andere Herausforderung und lass Leo in Ruhe!

Große Kreuzungen sind im Übrigen immer eine echte Aufgabe. Bei mindestens drei Spuren pro Fahrtrichtung ergibt sich eine ziemlich große Strecke, die bei grün zu überqueren ist. Als erstes gilt, dass man auf die Rechtsabbieger achtet, denn die haben immer „grün“ und fahren auch ohne zu bremsen um die Kurve. Dann können auch Linksabbieger des entgegenkommenden Verkehrs kommen, die sich manchmal vor alle anderen drängen und einfach mal quer über die Kreuzung fahren. Das geht über das uns bekannte „American Crossing“ noch hinaus! Hüten sollte man sich davor, bei grün einfach loszulaufen. Es hat sich bewährt, sich langsam mit all den anderen Menschen langsam auf die Straße zu tasten und dann seinen eigenen Weg zu finden. Nicht jeder schafft es vor den Abbiegern, dann sollte man langsamer werden und eine neue Lücke suchen. Mit etwas Übung ist das aber alles kein Problem, da hier keiner auf sein Recht pocht und die Geschwindigkeiten abschätzbar sind.

Interessant ist die Nutzung des Fuß- oder Fahrradweges. Hier handelt es sich in der Regel um einen relativ breiten Streifen, der von allen Beteiligten gleichzeitig genutzt wird. Etwas unkalkulierbar sind die Elekroroller, die man nicht kommen hört, bis sie hinter einem hupen. Dann nutzen die Autofahrer diesen Weg, um auf die zur Häuserseite liegenden Parkplätze zu gelangen. Absperrungen durch Poller sind nicht wirklich ernst zu nehmen, diese werden zum Auf- oder Abfahren einfach zur Seite gestellt und dann wieder positioniert. Hier bin ich mir nicht sicher, ob ich mich trauen würde ebenso vorzugehen. Da bin ich doch froh, dass wir unseren Fahrer auch zukünftig behalten werden, denn der kann mich einfach an der Kreuzung absetzen und wieder abholen, wenn ich mit meinen Einkäufen fertig bin. Keine Parkplatzsuche, keine langen Wege mit schweren Einkaufstüten und kein Stress mit hupenden Chinesen, die meinen, jede Lücke im Verkehr nutzen zu müssen. Was für ein Luxus!!!

Neben all den modernen Entwicklungen haben sich immer noch alte Werte und Tätigkeiten gehalten. Das Nutzen von Taschentüchern ist verpönt und es zeichnet sich aus, wer das Schneutzen und Ausspucken auf offener Straße beherrscht. Leo bemüht sich bereits, hier nicht den Anschluss zu verpassen. Ich bevorzuge meinen Langnasenbonus und „weiß es eben nicht besser“. Und während unzählige Fahrzeuge die Luft verpesten, ist die örtliche Straßenreinigung auf Fahrrädern mit Reisigbesen unterwegs. Das durchschnittliche Alter dieser fleißigen Menschen liegt geschätzt bei 150 Jahren und so ist verständlich, dass sie in regelmäßigen Abständen ein Nickerchen machend am Straßenrand zu finden sind. Mehrfach schon war ich nahe dran mal zu fragen, ob ich irgendwie helfen könne. Dank Sprachbarriere konnte ich mich immer noch rechtzeitig zurückhalten, so dass es nicht peinlich werden konnte. Denn das Nutzen kleiner Pausen für ein Schläfchen ist durchaus üblich und braucht nicht zur Beunruhigung zu führen. Beeindruckenderweise waren die Straßen am Neujahrstag tadellos sauber, obwohl hier geknallt wurde, als ob es kein morgen gäbe. Hier macht der Chinaböller seinem Namen alle Ehre, es kracht und raucht an jeder Ecke und das nicht nur um Mitternacht sondern gute zwei Wochen lang. Da kommen die kleinen Reisigbesen raus und fegen ununterbrochen die Reste zusammen. Wenn ich da an Berlin denke…

Ein seltenes Ereignis und daher würdig hier gezeigt zu werden: Leere Straßen am Neujahrstag! Diesen Anblick wollte ich Euch nicht vorenthalten.

Und zum Anschluss noch zwei Bilder von der Brücke über den Hunhe-Fluss, die während eines morgendlichen Spaziergangs mit Haakon entstanden sind. Auch wenn es an dem Tag -16°C kalt war, so hat der blaue Himmel gute Laune erzeugt. Überhaupt sind die Wetterwechsel häufig und daher kann man die grauen Tage zwischendurch ganz gut überstehen, weil es schon am nächsten Tag wunderschön sein kann. Nur wenn es sehr windig ist, wird die Kälte unangenehm und die Spaziergänge entsprechend kürzer.

Ich wünsche Euch einen schönen Wochenstart,
Eure Bettina

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